Unsichtbare Bilder
Die unsichtbaren Bilder des Herrn Kebelmann |
Herr Kebelmann war gut ausgebildeter Chemiker und hat viele Jahre in einem Chemiewerk gearbeitet. Durch die Arbeit mit gefährlichen Materialien sind seine Augen schwer geschädigt worden. Er wurde innerhalb weniger Jahre schließlich fast völlig blind.
Doch er lernte wieder selbständig spazieren zu gehen, einzukaufen, zu schreiben und zu reisen. Er hat gute Erinnerungen an seine Jugendzeit, die Landschaft seiner Heimat und an viele Orte, die er mit den Ohren erforscht hat.
Wenn er mich in meinem Atelier besucht, um einen Kaffee mit mir zu trinken, muss ich immer berichten, an welchen Bildern ich gerade arbeite. Und Herr Kebelmann hat dann seine eigenen Bilder davon im Kopf. Überhaupt: Sein Kopf ist voller Bilder. Er hat klare Vorstellungen von den Dingen, den Menschen und Situationen, wie wir anderen auch. Nicht selten hören die Leute Herrn Kebelmann nicht gut zu, und so bleiben diese Bilder für sie unsichtbar.
Manchmal lädt Herr Kebelmann seine Freunde und Bekannten ein, mit ihm dunkle Räume zu betreten und Skulpturen von Bildhauern zu ertasten. Wenn er dann davon berichtet, was seine Hände entdeckt haben, können auch die anderen diese Bilder für einen Augenblick sehen.
Damit sie nicht wieder völlig verschwinden, habe ich diese Bilder gemalt. Herrn Kebelmann brauche ich sie nicht zu zeigen, sie sind unsichtbar für ihn. Aber er kennt sie ja schon.